»Fein und eisig rieselte der Regen auf die Männer und Pferde herab. Die blasse Wintersonne zog sich hinter die Ecabros-Berge zurück, als die Patrouille in Sichtweite des Rio Grande gelangte.«
FRISCH GELESEN: Archiv
Mac Coy Gesamtausgabe Band 5
Story: Jean-Pierre Gourmelen
Zeichnungen: Antonio Hernández Palacios
avant-verlag
Hardcover | 208 Seiten | Farbe | 39,95 €
ISBN: 978-3-945034-61-3
Genre: Western
Für alle, die das mögen: Manos Kelly, Comanche, Leutnant Blueberry
Westernfilme. John Wayne. Bonanza. Cowboy-und-Indianer-Spielen. Als Kind der 60er und 70er Jahre waren Western ein ganz selbstverständlicher Teil meines Lebens. Im Rückblick eigentlich unglaublich: Der Mythos eines winzigen historischen Abschnitts eines einzigen Landes wird weltweit zum Mainstream. Obwohl schon die Grundideen absurd sind: Alle sitzen die ganze Zeit schwer bewaffnet auf Pferden, nur Männer natürlich, umgeben von blutrünstigen Wilden, und für Probleme gibt es exakt eine Lösung: schießen. Ein Traum für tobende Jungs – aber wie konnten Erwachsene das ernst nehmen?
Kein Wunder, dass die große Zeit des Westerns bald vorbei war. Im Kino gab es noch einige Zeit frustrierende Spätwestern, in denen auch die sympathischsten Helden (Butch Cassidy & Sundance Kid) am Ende scheiterten, einige Western-Comichefte (Bessy, Silberpfeil) schleppten sich bis in die 80er, aber dann war es aus – mit Ausnahme von Lucky Luke und den Edelwestern, wo aber schon der Obertitel klarmachte, wer die Zielgruppe war: Auskenner mit Liebe zum Genre. Oder anders gesagt: Erwachsene, die früher Cowboy und Indianer gespielt hatten. Später wurden Western dann zu einer der vielen Hüllen, in die Horror, Comedy, Krimis oder sonst was verpackt wurde, wie das heute eben so üblich ist. Aber Pferde, Waffen, Saloons und so weiter sind da nur austauschbare Kulissen. Der klassische Western ist tot. Warum eigentlich?
Ich lese ab und zu Western, ich mag Comedy (Lincoln, Gus, Lucky Luke Hommage), aber einen Edelwestern von einst hatte ich vor dem letzten Band der Mac-Coy-Gesamtausgabe lange nicht mehr in der Hand. Wie liest sich so etwas wohl heute? Ich freute mich jedenfalls auf die Zeichnungen des spanischen Künstlers Antonio Hernández Palacios, dessen Bilder ich noch vage als recht beeindruckend erinnerte. Doch ich wurde enttäuscht, was mit dem Alter des Künstlers zu tun haben dürfte: Palacios wurde 1921 geboren und die letzte Folge von Mac Coy erschien Anfang 1999 – nicht einmal ein Jahr vor seinem Tod.
Kein Wunder, dass insbesondere einige Bilder der letzten beiden Alben den gespenstischen Eindruck hinterlassen, sie würden sich beim Betrachten auflösen. Auch die ersten drei Alben sind nicht durchgehend brillant, erfreuen aber mit einigen schönen Details, etwa Porträts, die mit subtiler Ironie punkten. Richtig beeindruckend sind jedoch vor allem die Landschaften und das Wetter: Die Wildnis ist ein bestimmender Faktor des Westerns – und hier kommt beides wirklich nahe. Vor allem der Regen. Was für ein Regen!
Die Handlung ist klassisch Western, und da wusste ich auch, warum ich die meisten nicht mehr lesen kann. Denn eigentlich gibt es hier, wie so oft, keine Geschichten, sondern nur Situationen, die sich mehr oder weniger lange hinziehen. Da ist eine Gruppe Apachen, die verfolgt wird, eine Kiste, die gerettet werden soll, ein Brief, der aus einer Bank gestohlen werden muss, ein Schatz, der gesucht wird, und, echt wahr, noch eine Gruppe Apachen, die unbedingt verfolgt werden muss. Na ja, und dann wird das eben gemacht. Dramaturgisch überschaubar.
Wobei es manchmal so wirkt, als hätte sich der Autor Jean-Pierre Gourmelen, der übrigens wundervolle Zwischentexte schreibt (siehe das Eingangszitat oben), angesichts der Grenzen des Genres selber gelangweilt. So endet zumindest das weitgehend konventionelle Abenteuer »Die geheimnisvolle Truhe« mit einem wirklich schönen, leicht surrealen Dreh. Und der Höhepunkt des Bandes, »Der Brief aus Hualco«, ist mit seinen absurden Figuren, die sich in einem grotesken Tohuwabohu verwickeln, wirklich bizarr und lustig. Das vierte Album ist dagegen leider extrem langweilig, endet aber zumindest mit dem vermeintlichen Tod von Mac Coy, was ein ehrenvoller Serienschluss gewesen wäre. Doch es wurde noch ein weiteres Album nachgeschoben, »Auf der Suche nach Miss Kate«, das so unfassbar öde ist und mit zwei Vergewaltigungsszenen zugleich so unerfreulich, dass ich es als meinen ersten Kandidaten für den schlechtesten Comic 2021 betrachte.
Im Großen und Ganzen fand ich Mac Coy eher frustrierend. Western-Fans werden sich an den von mir beschriebenen Mängeln wohl kaum stören, im Gegenteil: Wahrscheinlich wollen sie genau das. Ich kam dann aber ins Grübeln, wie es wohl mit anderen Serien wäre, und holte die letzten Bände von Mister Blueberry raus, die ich immer noch habe. Nachdem er als Mœbius den europäischen Erwachsenencomic entscheidend geprägt und dabei sehr viele Grenzen weit hinter sich gelassen hatte, kehrte er am Ende seiner Karriere zu seinem ersten großen Erfolg Blueberry zurück. Ich fragte mich: Wie geht jemand mit einem so weiten Hintergrund mit diesem engen Genre um?
Der Franzose hat den Schluss seiner langen Serie alleine geschaffen, ohne einen Texter, und was soll ich sagen: Die Alben sehen fantastisch aus, sie sind exzellent gezeichnet, sehr präzise und extrem detailliert. Und erzählt wird auf höchstem Niveau: diverse mehrspurige Erzählstränge, viele interessante Charaktere, reichlich Humor, unabsehbare Wendungen, hohe Komplexität, grandiose Dialoge. Eigentlich sind die fünf Bände eine Graphic Novel in Fortsetzungen. Und dabei total Western. Es geht also!
[Peter Lau]
Abbildungen © 2021 avant-verlag / Antonio Hernández Palacios, Jean-Pierre Gourmelen
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