»Wenn es jemals einen männlichen Traum gab, dann den Western. Alles darin hängt allein vom Mann ab.«
FRISCH GELESEN: Archiv
Story: Igor Kordej, Darko Macan
Zeichnungen: Igor Kordej
avant-verlag
Hardcover | 224 Seiten | s/w | 26,00 €
ISBN: 978-3-96445-128-6
Genre: Graphic Novel
Für alle, die das mögen: Cisco Kid, Gespenstergeschichten, Monster (Barry Windsor-Smith)
Eine Männergeschichte also, sogar eine ganz klassische: Ein Vater hat zwei Söhne – welcher ist sein Favorit? Nur dass der Vater in diesem Fall der berühmte Comiczeichner Tomislav Brandt ist und der zweite Sohn neben dem eigentlichen Nachkommen Radovan der Held seiner Westernserie: Texas Kid, die berühmteste Comicfigur aller Zeiten. Und nein, der Kampf um die Gunst des Vaters ist keine Metapher: Texas Kid ist eines Tages real geworden, lebt jetzt mit seinem Schöpfer unter einem Dach und verdrängt den tatsächlichen Sohn.
Der kroatischstämmige Comickünstler Igor Kordej wurde zu Texas Kid, mein Bruder von einer Kurzgeschichte des kroatischen Autors Darko Macan inspiriert, mit dem er schon diverse andere Comics geschaffen hat, unter anderem die Westernserie Marshall Bass. Im Nachwort erzählt Kordej, dass er das Buch 2009 ohne Auftrag begonnen hat und bis 2013 neben seinen bezahlten Jobs daran arbeitete. Dann bekam seine Frau ein Kind, er hatte anderes zu tun, und so beendete er den Band erst 2023. Das ist dem Buch auf den ersten Blick nicht anzusehen, aber es wird beim Lesen mit der Zeit sehr deutlich.
Das Buch beginnt mit dem Vater, der nicht immer ein egoistischer und brutaler alter Mann war. Doch der kleine Junge von einst, der mit Tieren sprach und sanft mit seiner Freundin umging, wird mit der Zeit zwischen dem gewalttätigen Alltag in der Provinz und den großen Gewalttaten der Geschichte, Kriegen und Regimewechseln, zerrieben, bis schließlich ein desillusionierter, gefühlsarmer Mann übrig bleibt, der seine Träume in Comics auslebt. Das alles wird sehr detailliert und überzeugend erzählt, es ist der mit Abstand beste Teil des Buches. Im zweiten Kapitel taucht dann Texas Kid auf, der die Menschen mit seinen Tricks beeindruckt, aber bereits das ist nur begrenzt interessant: Die unrealistischen Künste einer Comicfigur einmal in der Wirklichkeit zu sehen, ist unterhaltsam – wenn sich das seitenlang mit immer neuen verrückten Wundertaten wiederholt, wird es langweilig.
Es wirkt, als hätte Kordej nach dem fulminanten Anfang keine Idee gehabt, wohin es gehen sollte, und so war es vermutlich ganz gut, dass er die Geschichte einige Jahre liegen ließ. Nur hatte er danach leider immer noch keine Idee: Im dritten Kapitel gibt es einen weiteren, recht banalen Rückblick, eine weitere Heldentat von Texas Kid und ein wenig Comic-Interpretation auf dem Niveau von Freud für Anfänger. Und als es schließlich im vierten Kapitel zum Showdown kommt, ist die Luft raus: Was als potenziell interessante und vielfältige Erzählung über Western und Männlichkeit begann, endet auf dem Niveau einer ambitionierten Episode aus Gespenstergeschichten.
Wobei der Fairness halber gesagt werden muss: Igor Kordej ist Zeichner, kein Szenarist. Er zeichnet seit 48 Jahren Comics, hat für Heavy Metal, Dark Horse (Tarzan, Star Wars), Marvel (X-Men, Cable), Delcourt (Marshall Bass, Colt & Pepper) sowie viele mehr gearbeitet und ist mittlerweile natürlich ein exzellenter Handwerker, der alles detailliert und auf den Punkt darstellen kann. Visuell lässt der Band nichts zu wünschen übrig. Gerade der banale Showdown zeigt, wo Kordej Talent liegt.
Wer da an Barry Windsor-Smith denkt: Ging mir auch so. Nur dass sich der Amerikaner für Monster auch noch über Jahre eine Geschichte überlegt hat. Die fehlt hier leider, also kann ich den Band nur begrenzt empfehlen: Wer die Zeichnungen mag oder Fan von Cisco Kid ist, dem Texas Kid offensichtlich nachempfunden wurde, wird seinen Spaß haben, genau wie Leute, die gerne Metacomics lesen. Wer dagegen durchdachte Geschichten mag, die etwas über unsere Welt sagen, ist woanders besser aufgehoben.
[Peter Lau]
Abbildungen © 2024 avant-verlag / Igor Kordej
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