»So lebte er hin.«
FRISCH GELESEN: Archiv
Lenz – Eine grafische Novelle nach Georg Büchner
Story: Georg Büchner und Andreas Eikenroth
Zeichnungen: Andreas Eikenroth
Edition 52
Hardcover | 80 Seiten | Farbe | 18,00 €
ISBN: 978-3-948755-05-8
Genre: Literaturadaption
Für alle, die das mögen: Klassiker, Biografien, anspruchsvolle Zeichnungen
Eigentlich habe ich nie den Weg zu den Zeichnungen von Andreas Eikenroth gefunden. Seinen Woyzeck habe ich gelesen. Allerdings waren mir die Arbeiten des Gießener Künstlers immer zu abstrakt, zu skurril und zu wenig naturalistisch. Dass ich dennoch von seiner neuen Graphik Novel Lenz schwärme, liegt an eben diesen drei Gründen. Doch der Reihe nach.
Schon Andreas Eikenroths Woyzeck ist zu abstrakt, zu skurril und zu wenig naturalistisch.
Georg Büchner starb 1837. Er war übrigens auch an der Universität Gießen eingeschrieben, was vermutlich nicht unerheblich dazu beiträgt, dass Eikenroth sich mit ihm beschäftigt. In seinem Vorwort zur Graphic Novel legt der Comickünstler dann auch dar, dass er von Büchner fasziniert ist. Zwei Jahre nach Büchners Tod veröffentlichte seine Braut den Lenz-Text. Inwiefern er vorher durch sie oder seinen Freund Karl Gutzkow bearbeitet wurde, ist nicht bekannt. Büchner schildert in seinem Stück - ob es sich um ein Fragment oder eine Novelle handelt, ist bis heute strittig - den geistigen Zusammenbruch des Schriftstellers Jakob Michael Reinhold Lenz (1751 – 1792). Lenz hielt sich seinerzeit in Waldersbach bei dem Pfarrer Oberlin auf. Dieser lieferte auch einen detaillierten Bericht des Zusammenbruchs, auf den sich Büchner bei seinem Werk stützt.
Von Beginn an bleibt Eikenroth sehr nah Georg Büchners Original.
Eikenroth bleibt sehr nah am Text von Büchner, was ich als sehr wichtige empfinde. Literaturadaptionen, bei denen das Ursprungswerk massiv verändert wird – abgesehen natürlich von den zwingend erforderlichen großen Streichungen –, entbehren für mich jeder Logik. Eikenroth übernimmt ganze Textpassagen aus dem Originalwerk und schließt dankenswerter Weise mit dem kultigen Originalzitat aus Büchners Feder: »Am folgenden Morgen bei trübem, regnerischem Wetter traf er in Straßburg ein. Er schien ganz vernünftig, sprach mit den Leuten. Er tat alles wie die anderen es taten, es war aber eine entsetzliche Leere in ihm, er fühlte keine Angst mehr, kein Verlangen. Sein Dasein war ihm eine notwendige Last. So lebte er hin.«
Lenz auf seinem Weg nach Straßburg.
Bis Eikenroth zu diesem Schluss kommt, muss er aber noch den geistigen Zusammenbruch einer Künstlerseele in Bilder fassen. Die Worte hat ihm Büchner geliefert. Und jetzt kommen die von mir in vorherigen Arbeiten leider zu wenig geschätzten Eigenschaften von Eikenroths Zeichenstil zum Tragen: abstrakt, skurril und wenig naturalistisch. Denn das Verschwimmen von Realität und Wahn, wie es Lenz im Fortgang seines Zusammenbruchs immer stärker erlebt, lässt sich durch diese Art von Zeichnungen hervorragend umsetzen. Beispielsweise wenn sich Menschen in Tiere verwandeln, der Teufel hinter einem Sessel hervorlugt oder er von religiösen Wahnvorstellungen geplagt wird.
Lenz wird von religiösen Wahnvorstellungen geplagt.
Eikenroth gibt in ganzseitigen Panels, die wiederum nicht in einzelne Panels unterteilt sind, verschiedene Lebenssituationen von Lenz wieder. Dabei gelingt es Eikenroth, dem Kenner von Büchners Werk durch seine Zeichnungen ganz neue Aspekte vor Augen zu führen, während er dem Leser, der bisher noch keine Berührung mit Lenz hatte, ein Werk des Vormärz näherbringt.
Ich gebe neun von zehn Revolutionären.
[Bernd Hinrichs]
Abbildungen © 2019, 2021 Edition 52 / Andreas Eikenroth
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