Frisch Gelesen Folge 377: Teufelsfisch

»Oktopusse fressen sich manchmal selbst. Und wir Menschen sind auch nicht anders.«


FRISCH GELESEN: Archiv


Teufelsfisch

Story: Susumu Katsumata
Zeichnungen: Susumu Katsumata

Reprodukt
Softcover | 240 Seiten | s/w | 16,00 €
ISBN: 978-3-95640-385-9

Genre: Watakushi, Slice of Life, Drama

Für alle, die das mögen: Tante NonNon, Der nutzlose Mann, Der Kartograph



Die unerträgliche Alltäglichkeit des Seins zeichnet Teufelsfisch von Susumu Katsumata aus. Der Band erscheint jetzt bei Reprodukt in deutscher Übersetzung und enthält mehrere kurze Manga aus den 1970ern und 80ern; was die Frage erlaubt: Ist Teufelsfisch lediglich japanische Zeitgeschichte oder befindet sich auf diesen knapp 240 Seiten noch Relevantes für die Gegenwart?

Den Auftakt bilden die beiden Geschichten Tiefseefisch und Teufelsfisch (Oktopus), in denen der 2007 verstorbene Mangaka sich den Arbeitern in Atomkraftwerken widmete. Katsumata selbst studierte an der Tsukuba Universität Kernphysik und recherchierte für die erste Geschichte in den 80ern im Atommeiler Fukushima, in dem es vier Jahre nach Katsumatas Tod zur Kernschmelze kommen sollte. Allerdings steht bei seinen Erzählungen das Schicksal der Arbeiter im Vordergrund und weniger die ganz große Katastrophe. Als Reaktion auf die Strahlung wacht ein Mann mit kirschblütenförmigen Flecken auf seinem Körper auf, ein anderer Mann stürzt im Reaktor und erleidet schwerste Verletzungen, während um ihn herum niemand weiß, was jetzt genau zu tun ist.

In Katsumatas nüchternem und einfachem Stil mutet all dies visuell fast schon naiv an, die kirschblütenförmigen Flecken romantisieren das Schicksal der Arbeiter. Und trotzdem schiebt sich in dieses Zusammenspiel aus Wort und Bild eine neue Ebene ein, etwas, das sich kaum greifen lässt, aber wie ein unheilvoller Schatten über diesen Geschichten hängt. Die Gespräche der Charaktere sind banal, der Schrecken ist mehr angerissen als ausbuchstabiert; das ist die Kunst von Katsumata auf den ersten Seiten, deren Thema heute noch bewegt. Das ändert sich jedoch auf den nachfolgenden Seiten.

Darauf erzählt Katsumata Geschichten über Menschen und Geister und ihre profanen Leben. Dörfer breiten sich aus und vertreiben magische Wesen, aber das weckt nicht ihren Zorn, sondern stößt sie in die Depression und hin zum Alkohol. Diese kurzen Momente erscheinen mehr wie Meditationen über das Sein, über Landschaften und das Dasein der Menschen. Als würde Katsumata mit dem Zeigefinger ganz vorsichtig im Sand seiner Erzählungen das Wesentliche hervorholen, so mutet es an, so flüchtig und entfernt wirkt es beim Lesen.

Die letzten Geschichten des Bandes fallen unter den Begriff der Watakushi-Manga, was autobiografische Geschichten meint. Das Nachwort zitiert dazu Katsumata: »Das Zeichnen von Manga eröffnet mir einen Weg, meinen Schmerz zu verstehen und die negativen Gefühle in mir zu lösen. Es gibt mir wieder die Kraft zu leben. Kunst kann so etwas bewirken, denke ich.« Besonders bei diesen Geschichten fällt Katsumatas Einsatz von Schwarz und Schatten auf, wohingegen seine Charaktere schlichte Projektionsflächen bleiben. Nur wofür?

Mit Roter Schnee veröffentlichte Reprodukt bereits vor einigen Jahren eine Sammlung von Katsumata, die vor allem im Feuilleton viel Lob erhielt. In der Vielfalt der heutigen Stile mutet Teufelsfisch mitnichten wie Avantgarde an, doch es braucht Geduld und Ruhe für diese Geschichten, um sich einzufinden. Was schon für Roter Schnee galt. Wie Katsumata in Teufelsfisch das Besondere des Alltäglichen und das Alltägliche des Besonderen einfängt, ist einzigartig. Nur muss man es als das akzeptieren, was es ist: nicht durchweg spannend. Wer das kann, bei dem werden diese Geschichten lange nachwirken.

[Björn Bischoff]

Abbildungen © 2024 Reprodukt / Susumu Katsumata


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