»Ich betrachte meine Arbeit als eine Art … Zwiegespräch. Wenn man es mit einem Gegner aufnimmt, muss man das Auf und Ab in dessen Blutdruck spüren. Und seinen Schmerz.«
FRISCH GELESEN: Archiv
Benkei in New York
Story: Jinpachi Mori
Zeichnungen: Jirô Taniguchi
Schreiber & Leser
Softcover | 224 Seiten | s/w | 16,95 €
ISBN: 978-3-96582-032-6
Genre: Manga, Crime, Killergeschichten
Für alle, die das mögen: Otomos Akira, den Film Léon – Der Profi mit Jean Reno, Tanguchis Trouble is my Business
Im klassischen Kino ist der Killer nicht selten einer der wesentlichen Sympathieträger der Handlung. Neben Lee Marvin in Der Tod eines Killers (1964, eine Hommage an die älteren Leser) und Jimmy, die Tulpe (Bruce Willis in Keine halben Sachen) fallen mir spontan noch Vincent Vega (John Travolta in Pulp Fiction) und Léon (Jean Reno in Léon – Der Profi) ein. Es gibt natürlich noch viel mehr gute und schlechte Beispiele, aber sie haben alle eines gemeinsam: Der mordende Protagonist schleicht sich handlungs- oder persönlichkeitsbedingt in die Herzen der Zuschauer und erlangt deren Empathie. Gerade wenn man sich das Szenario der ersten Geschichte von Benkei in New York anschaut, käme man wohl nicht im Traum darauf, dass die tragende Rolle, diese Mischung aus Hannibal Lecter und – rein äußerlich – einem liebenswerten Knuddelbären, im Laufe des gesamten Buchs zunehmend die Zuneigung des geneigten Lesers erwirbt.
Liebenswerter Knuddelbär: die Titelfigur im New Yorker Regen.
Um das zu veranschaulichen, muss man wohl etwas tiefer in die erste der sieben Storys einsteigen. »Haggis« erzählt von Bill, der – um dem Vietnamkrieg zu entgehen – von seinem Vater nach Schottland geschickt wird. Damit er nicht trotzdem noch eingezogen wird, verursacht er absichtlich einen Unfall, bei dem eine völlig unschuldige Frau getötet wird. Nun ist Haggis eine – für manche gewöhnungsbedürftige – Spezialität aus der schottischen Küche, die aus dem Magen eines Schafes, der mit dem frischen Herzen, Leber, Lunge und Nierenfett vom Schaf, Zwiebeln und Hafermehl gefüllt wird, besteht. Benkei, engagiert von dem Sohn der getöteten Frau, serviert Bill diesen Haggis, gefüllt … mit den frischen Innereien von dessen Tochter.
Der Rahmen für diese und die weiteren Storys von Benkei in New York sind Benkeis Verbindungen zur italienischen Mafia, für die er je nach Auftragslage schon mal gestohlene Gemälde großer Künstler mit einer unvergleichbaren Gabe fälscht. Die Fälschungen werden dann als echte Beutekunst weiterveräußert. Auch wenn man es dem scheinbar netten Kerl nicht ansieht, wenn es jemand aus seiner Sicht oder derer seiner Auftraggeber verdient hat, tötet Benkei zum Teil auf infernalische Art und Weise. Und dazu ist ihm jedes Mittel recht, sei es das Schwert eines Schwertfisches, die Halskette, die eine Frau in jungen Jahren hätte erhalten sollen oder ein Swimmingpool – immer hat die Art der Tötung auch mit der Historie der handelnden Personen zu tun.
Der Handlungsort: die Metropole mit ihrer weltberühmten Skyline.
Die Geschichten sind virtuos vom Vielschreiber Jirô Taniguchi – die Liste der deutschen Veröffentlichungen bei Schreiber & Leser und Carlsen ist mittlerweile schon ellenlang – in Szene gesetzt. Nachdem es leider keine neuen Comics des 2017 gestorbenen Zeichners mehr gibt, wird langsam, aber sicher Zug um Zug das Frühwerk veröffentlicht. An der Seite von Taniguchi steht der hierzulande wenig bekannte Jinpachi Mori. Über mehrere Jahre hinweg wurden diese sieben Geschichten gemeinsam umgesetzt – ohne den roten Faden völlig zu verlieren. Trotzdem verbleibt nach der Lektüre immer so ein bisschen ein Gefühl wie bei Bruce Willis und The Sixth Sense. Wenn man die Lösung einmal kennt, verspürt man wenig Lust, das Buch erneut in die Hand zu nehmen – und wenn, dann nur, um zu prüfen, ob man nicht doch etwas überlesen hat.
Virtuos in Szene gesetzt: Jirô Taniguchis Zeichnungen des New Yorker Straßenlebens.
Bei der Namensgebung ihres Protagonisten weisen Mori und Taniguchi wohl auf Musashibō Benkei hin, einen sehr beliebten Kriegermönch japanischer Folklore, die ihn als loyalen und starken Kämpfer beschreibt. Ohne weitere Hintergründe oder die Motivation zu erklären, soll damit wohl der meuchelnde Teil von Benkeis Taten als gerecht und rechtens legitimiert werden.
Zusammenfassend würde ich Benkei in New York durchaus als kurzweilige, aber nicht sehr nachhaltige Lektüre empfehlen. Für Komplettsammler von Taniguchis Werk führt an Benkei in New York sowieso kein Weg vorbei.
[Stephan Schunck]
Abbildungen © 2020 Schreiber & Leser
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