»Ich habe dich angelogen, Raua. Ich bin kein Seemann, sondern Pirat.«
»Geschlüpft!! Unglaublich! Es ist wissenschaftlich unmöglich, aber eine Tatsache.«
»Es ist an der Zeit, dass wir uns in innovativen Sektoren engagieren.«
»Ich will Pankat-Meister werden.«
FRISCH GELESEN: Archiv
Pankat
Text: Merwan
Zeichnungen: Merwan
Schreiber & Leser
Hardcover | 216 Seiten | Farbe | 32,80 €
ISBN: 978-3-96582-065-4
Genre: Action, Martial Arts
Für alle, die das mögen: ungelenke Anfänge, Kampfsport, Mechanica Caelestium
Die Erwartungen an diesen Comic waren so gigantisch wie die Stadien, in die uns Merwan Chabane im vergangenen Jahr in Mechanica Caelestium entführte. Seine Tribute-von-Panem-Variation, in der die Gegner nicht niedergemetzelt, sondern in einer Art postapokalyptischem Völkerball aus der Arena geschleudert werden, war nicht nur für meinen Kollegen Wolfram Neun der »Comic-Volltreffer des Jahres!« (ALFONZ 1/2021). Merwans Story war so flott wie die Würfe seiner Protagonistin Aster. Die Begeisterung für diesen Underdog mit angeklebtem Fuchsschwanz schwappte mühelos von den Rängen auf den Comicseiten ins heimische Wohnzimmer über:
Nun also ein neuer Comic im selben Format und mit einer ähnlichen Geschichte. Statt mit Bällen wird diesmal mit Fäusten und Füßen ausgeteilt. Es geht um den Kampfsport Pankat, der dem Comic seinen Namen gibt. Wer ihn beherrscht, dem Winken Ruhm und Ehre. Der junge Mané ist eigens dafür durch die Wüste gereist, um in einer fernen, mittelalterlich-arabisch anmutenden Stadt zum Pankat-Meister aufzusteigen. Das Ende seiner strapaziösen Reise sieht atemberaubend aus:
Kaum angekommen, geht der Geschichte aber schon die Luft aus, weil Merwan nicht weiß, was er erzählen will. Mané tritt der Kampfsportschule des Lehrmeisters Eiam bei und trainiert für ein großes Turnier. Abseits der täglichen Prügelstunden lässt er sich mit dem Terroristen Fessat ein, der das neu errichtete Pankat-Stadion in die Luft sprengen will. Und nebenbei bandelt er furchtbar ungeschickt mit einem Mädchen an. Soll Pankat also eine Coming-of-Age-Geschichte über das Erwachsenwerden eines Grünschnabels sein? Oder die sportliche Aufsteigergeschichte eines Außenseiters? Oder ein sportpolitischer Thriller mit Verweisen auf den modernen Fußball und die FIFA? Merwans Comic ist von allem ein bisschen, aber nichts richtig, worunter die Figuren leiden. Sein Protagonist Mané ist so unbeständig wie die Handlung, die mehrfach die Richtung und Tonalität wechselt. Durchdacht und ausgearbeitet ist weder das eine noch das andere, und Frauen kommen nur als eindimensionale Randfiguren vor. Durch den Bechdel-Test fällt dieser Comic krachend! Aus feministischer Perspektive ein echter Tiefschlag. Wie kann das sein, nachdem in Mechanica Caelestium eine mehrdimensionale Frau allen zeigte, wer die (kurzen) Hosen anhat?
Die Antwort liegt in der Vergangenheit, denn Pankat ist eben nicht der heißersehnte neue Comic, als den ihn viele Fans, ja selbst einige Kritiker aufgefasst haben. Diese Geschichte steht ganz am Anfang von Merwans Karriere und ist in Frankreich bereits ab 2004 erschienen – zunächst in Albenform, dann als Gesamtausgabe beim Verlag Vents d'Ouest. Im vergangenen Jahr legte die Edition Glénat die Gesamtausgabe noch einmal neu auf, woher wohl auch das Missverständnis rührt, hier liege ein aktueller Comic vor, denn im Impressum ist lediglich das Jahr 2020 angegeben, wie sich im gesamten Comic kein einziger Hinweis darauf findet, dass wir hier Merwans zeichnerische und erzählerische Anfänge betrachten.
Zeichnen konnte der 1978 geborene Franzose, der seine Karriere beim Animationsfilm begann, auch schon 2004, wie das oben abgebildete Figurenensemble aus Fessat, Mané und Eiam (von links nach rechts) eindrucksvoll beweist. So wohl komponiert wie in diesem Beispiel ist die Seitenarchitektur in Pankat allerdings nur selten. Statt großer Bilder produziert Merwan viel zu viel Kleinklein. Auf die folgende Seite quetscht er sage und schreibe 23 (!) Panels:
Das ist so unübersichtlich, dass die Lektüre zur Tortur gerät − Manés Unterricht nicht unähnlich. Und von der Dynamik späterer Comics ist das mehr als einen Handkantenschlag entfernt. Wie viel Merwan in den folgenden Jahren dazugelernt hat, wird klar, wenn man beide Comics nebeneinander legt. In Mechanica Caelestium sehen Actionszenen so aus:
Wenige Bewegungsabläufe genügen, um Tempo zu erzeugen. Im letzten Panel auf der linken Seite ist der Antritt förmlich spürbar. Und am Ende dieser Doppelseite hat man das Gefühl, gemeinsam mit der Figur über den Abhang zu rutschen. In Pankat sieht Action hingegen noch so aus:
Die Bewegungen der Kämpfer sind so bleiern wie die Anordnung der Panels. Ungelenke Verrenkungen, so weit das Auge reicht. Wer eine Geschichte erwartet, die auch nur annährend so mitreißt wie Mechanica Caelestium, sollte die Finger von diesem Comic lassen. Alles, was Mechanica Caelestium so großartig macht, ist aber bereits in Pankat angelegt − von der locker-leichten Kolorierung bis zu atemberaubenden Landschaftsaufnahmen und Stadtansichten:
Wer sich für Merwan und dessen Anfänge interessiert, kann also unbesorgt zugreifen. Nur einen »Comic-Volltreffer« sollte niemand erwarten.
[Falk Straub]
Abbildungen © 2020, 2021 Schreiber & Leser / Merwan
Kauft den Comic im gut sortierten Comicfachhandel: CRON-Händlerverzeichnis
Oder beim Verlag: Schreiber & Leser
»Vanko Winczlav. Aus welchem finsteren Loch kommt jemand mit so einem Namen?«
FRISCH GELESEN: Archiv
Das Schicksal der Winczlav Band 1: »Vanko 1848«
Story: Jean Van Hamme
Zeichnungen: Philippe Berthet
Schreiber & Leser
Hardcover | 56 Seiten | Farbe | 14,95 €
ISBN: 978-3-96582-063-0
Genre: Historie
Für alle, die das mögen: Hopfen und Malz
Seit mehr als 30 Jahren feiert die Comicserie Largo Winch im franko-belgischen Raum Erfolge, die hierzulande nur schwer vorstellbar sind. Der Plot um den Erben des W-Imperiums, ersonnen vom genialen Jean Van Hamme und nicht minder begeisternd umgesetzt von Philippe Francq, fasziniert jede Lesergeneration aufs Neue. Mit schwindelerregenden Auflagen konnte jedes neue Album punkten. Das änderte sich auch nicht, als Van Hamme 2017 ankündigte, den Stift bei Largo Winch zur Seite zu legen und die Serie einem Kollegen anzuvertrauen. Kein Wunder also, dass der belgische Verlag Dupuis überlegte, wie man die Kuh Largo noch weiter melken könne. Aber anders als bei Van Hammes anderem Megaerfolg XIII – verlegt beim Konkurrenten Dargaud – ging man bei Dupuis nicht dazu über, in einer eigenen Reihe einzelne Charaktere der Serie genauer vorzustellen (vermutlich gab die oberflächliche und auf Action und schöne Frauen basierende Handlung da zu wenig Material her), sondern der Verlag konzentrierte sich auf die Frage: Wie entstand das W-Imperium? Mit anderen Worten: In dem Ableger sollte die Geschichte der Vorfahren von Largo erzählt werden. Das dann für La Fortune des Winczlav (so der Originaltitel) sogar wieder Van Hamme mit an Bord war, dürfte die größte Überraschung sein.
In der Neuen Welt angekommen: Vanko Winczlav, seine Frau Jenny und ihr Sohn.
Der belgische Starautor führt uns in das Jahr 1848 nach Montenegro. Hier im Balkan lebt der Arzt Vanko Winczlav. Aufgrund seines politischen Engagements muss er in die Neue Welt fliehen. Auf dem Weg nach Amerika lernt er die Bulgarin Veska kennen, die er mitnimmt und kurzerhand heiratet. In Amerika bringt Veska einen kleinen Sandor zur Welt, den sie nicht aufziehen will, und das Paar trennt sich. Vanko, der in dem Privatkrankenhaus, in dem er arbeitet, ein hohes Ansehen genießt, wird von der Krankenschwester Jenny verführt, mit der er einen weiteren Sohn haben wird. Wenig später führt der Tod einer Patientin bei der Geburt dazu, dass Vanko wegen Mordes und illegaler Ausübung der Medizin vor Gericht gestellt wird, da er seine fachliche Ausbildung nie nachweisen konnte. Vanko wird daraufhin inhaftiert, und seine beiden erwachsenen Söhne sind nach dem Tod ihrer Mutter auf sich allein gestellt.
Parallelen zu alten Werken: die Rache an Vankos Ankläger.
Die auf drei Bände angelegte Erzählung erinnert mitunter an Van Hammes fast vergessene Serie Hopfen und Malz (erschienen bei comicplus+ in einer bibliophilen dreibändigen Gesamtausgabe), in der er über eine Bierdynastie schreibt. Hier wie dort wird in jedem Band das Schicksal einer neuen Generation geschildert und um die Anlehnung komplett perfekt zu machen, besteht bei beiden Serien der Titel jeweils aus der Jahreszahl und einem wichtigen Ort der Erzählung. Auch die Rache an Paterson, der Vanko ins Gefängnis brachte, weist deutliche Paraellen auf: eingekerkert in einem dunklen Verlies für 15 Jahre.
Und noch mit einem weiteren Werk gibt es Gemeinsamkeiten. Mit dem Titel der Serie lehnt sich Jean Van Hamme unweigerlich an Émile Zola und seinem 1871 erschienen Roman La Fortune des Rougon an. Zola beginnt mit diesem Werk seinen monumentalen 20-bändigen Rougon-Macquart-Zyklus – eine Familiengeschichte. Doch auch wenn Van Hamme seine Version kaum auf 20 Bände anwachsen lassen wird, sind die Parallelen offensichtlich, denn auch bei Zola beginnt die Geschichte damit, dass ein junges Liebespaar am Abend politischer Unruhen nachts aus einer Stadt aufbricht.
Steifheit des Strichs: Philippe Berthets Actionszenen überzeugen nicht.
Schon auf den ersten Seiten wird deutlich, dass Van Hamme nichts von seinem erzählerischen Können eingebüßt hat. Seine Geschichte ist solide strukturiert und besteht aus einer Reihe von Windungen, die dem Plot Tiefe geben. Es gibt keine tote Zeit und die Jahre vergehen fließend. Dabei fehlen natürlich nicht die typischen Stilmittel Van Hammes wie etwa schöne Frauen, Affären oder sexualisierte Gewalt. Kritiker werden wohl sagen, dass es eine Geschichte von der Stange ist, die der Belgier vermutlich an einem Abend verfasst hat. Das Szenario gibt sich keine Mühe mit Feinheiten. Positiv ausgedrückt heißt das, dass Van Hamme genau das macht, was er kann: eine spannende Geschichte erzählen.
Zwei von Van Hammes typischen Stilmitteln: schöne Frauen und Affären.
Die Wahl von Philippe Berthet für die Zeichnungen erweist sich als klug und bricht auf angenehme Weise mit Francqs Stil. Seine Eleganz passt perfekt zur Geschichte, mit Ausnahme der wenigen Actionszenen, an die sich die relative Steifheit seines Strichs nicht gut anpasst. Der Leser fühlt sich da mitunter an die Augsburger Puppenkiste erinnert.
Das Schicksal der Winczlav ist, was es ist: ein ultraklassischer, gut gemachter Comic.
[Bernd Hinrichs]
Abbildungen © 2021 Schreiber & Leser / Jean van Hamme, Philippe Berthet
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Oder beim Verlag: Schreiber & Leser