Frisch Gelesen Folge 285: Simon vom Fluss 2

»Er stürzte ins Haus und packte das wenige zusammen, das er für sein unstetes Leben brauchte.«

Frisch Gelesen Folge 259: Coda 1

»Hrm.«


FRISCH GELESEN: Archiv


Coda Band 1

Story: Simon Spurrier
Zeichnungen: Matias Bergara

Cross Cult
Hardcover | 128 Seiten | Farbe | 25,00 €
ISBN: 978-3-96658-512-5

Genre: Fantasy

Für alle, die das mögen: Das letzte Einhorn (1982), Willow (1988), Der Herr der Ringe (1978) in der Bakshi-Version



Auf den ersten Blick: Überwältigung! Simon Spurrier wirft uns mitten hinein in seine Story, und wir wissen vor lauter Farben und neuen Eindrücken gar nicht, wo uns der Kopf steht. Was zu einem Gutteil an Matias Bergara liegt, der uns ansatzlos Zeichnungen wie diese vor den Latz knallt:


Wo wir uns befinden, wem wir hier zusehen und vor allem, wie diese Welt funktioniert, erfahren wir nur häppchenweise. Von Bergara als kunterbunte Augenschmäuse serviert. Der 1984 geborene Uruguayer, hierzulande für seine Arbeiten an Hellblazer und Sons of Anarchy (beide bei Panini) bekannt, zaubert Landschaften und Städte aufs Papier, die so aussehen, als hätte Alejandro Jodorowsky auf einem LSD-Trip Herr der Ringe und Das letzte Einhorn mit Mad Max gekreuzt:


Zwischen Drachenskeletten, Wüstenlandschaften, Bergketten und Pilzwäldern begegnen wir einem ehemaligen, inzwischen verstummten Barden:

                                                Nach langen Reden steht ihm nicht der Sinn.
                                                Er grummelt lieber vor sich hin.
                                                Und sammelt Gegenstände ein,
                                                Um seine Frau von Urken zu befrein.
                                                Die auch im Englischen so heißen,
                                                Sich aber nur in deutschen Landen
                                                So wunderschön auf Schurken reim'n.

Unser namenloser Protagonist bewegt sich durch eine Welt nach dem Quench. Vor dem Quench war diese Welt voller Magie, seit dem Quench (wohl ein Ereignis apokalyptischen Ausmaßes) schwindet sie immer weiter. Ein grüner Trunk, der davon noch übrig ist, nennt sich »Akker«, wie sich überhaupt alles vertraut anhört und doch stets einen Tick anders heißt.

Neben den Urken – die sich später übrigens als gar nicht so schurkisch herausstellen, wie sie klingen – wird diese Welt von einer machtgeilen Bürgermeisterin, ihrer gigantischen Kanone und ihren trotteligen Paladinen, einer Meerjungfrau an der Spitze einer Trockenkarawane, einem zerstreuten Zauberer und seiner rebellischen Tochter, einem nervenden Gör, einem allerletzten Ylben und einem Riesen, der eine ganze Stadt auf Rädern hinter sich herzieht, bewohnt. Der verstummte Barde gerät zwischen die Fronten und bekommt den Namen »Hum« verpasst, weil die Bürgermeisterin sein gerummeltes »Hrm« missversteht. Kommt er in die Klemme, dann boxt ihn sein beängstigendes und dauerfluchendes Fünfhorn raus, was erzählerisch dem narrativen Holzhammer gleichkommt, visuell aber zu beeindrucken vermag:

Die Diskrepanz zwischen der Story und den Zeichnungen ist denn auch das größte Manko eines Comics, der in erster Linie auf mehr hoffen lässt. Der 1981 geborene Brite Spurrier hat sich seine ersten Sporen mit verschiedenen Serien beim Comicmagazin 2000 AD verdient, bevor er sich vom Acker und ab ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten machte. Viele seiner Arbeiten für die großen US-Verlage sind bei uns bei Panini erschienen, eine kleinere Arbeit wie Disenchanted beim Dantes Verlag. Und Spurrier ist durchaus ein talentierter Erzähler, keine Frage! Auch in Coda beherrscht er den Umgang mit verschiedenen Erzählebenen, mit überraschenden Wendungen und Cliffhangern, die zum Weiterlesen motivieren. Was wie in so vielen zeitgenössischen Geschichten aber auch seiner Handlung abgeht, ist ein ordentlicher Aufbau der Figuren und ihrer Ziele. Hum will seine Frau retten, schon klar. Das ist das Ziel seiner (Antihelden-)Reise. Doch anstatt mit diesem festen Ziel vor Augen aufzubrechen, Hindernisse zu überwinden, zu scheitern, daran zu wachsen, es erneut zu versuchen und am Ende (womöglich) zu obsiegen, rennt der Protagonist von A nach B nach C, zurück nach B, von dort nach D, um am Ende wieder bei B zu landen. Dieses Hin und Her sieht zwar phänomenal aus:

Es bringt aber weder die Geschichte noch den Helden wirklich voran. Vielmehr wirkt der erste Sammelband, der die ersten vier Hefte vereint, wie der Versuch, alle Figuren und Handlungsstränge, die später noch eine entscheidende Rolle spielen werden, schon einmal vor unseren Augen auszubreiten. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Das gelingt Spurrier besser als vielen anderen Szenaristen, was allerdings nicht unbedingt für ihn, sondern für eine allgemeine handwerkliche Schwäche der Branche spricht. Denn all das könnte man (noch) besser erzählen. Und noch sind die Figuren allesamt recht leere Hüllen, die es mit Leben zu füllen gilt, um mit ihnen mitfiebern zu können.

In den USA sind insgesamt zwölf Hefte erschienen, die Cross Cult in drei schönen Hardcoverausgaben herausbringen wird. Bleibt zu hoffen, dass Spurrier diesem Fünfhorn von einem Comic in den noch kommenden Bänden ordentlich die Sporen gibt. Und wir nicht nur mit atemberaubenden Bildern wie diesem vorliebnehmen müssen:

[Falk Straub]

Abbildungen © 2021 Cross Cult / Simon Spurrier, Matias Bergara


Kauft den Comic im gut sortierten Comicfachhandel: CRON-Händlerverzeichnis

Oder beim Verlag: Cross Cult

Frisch Gelesen Folge 239: Gejagt

 

»Ich dachte, du würdest bei den Black Panthers mitmachen.«
»Ich hab's versucht, aber das war nichts für mich. Die sind mir zu chauvinistisch.«


FRISCH GELESEN: Archiv


Gejagt – Die Flucht der Angela Davis

Story: Fabien Grolleau
Zeichnungen: Nicolas Pitz

Cross Cult
Hardcover │ 136 Seiten│ Farbe │ 25,00 €
ISBN: 978-3-96658-342-8

Genre: Biografie

Für alle, die das mögen: Biografien von politisch aktiven und interessierten Personen wie Gegen mein Gewissen (avant-verlag), Jein (Jaja) oder Im selben Boot (Schreiber & Leser)


Ende der 40er Jahre sind in Nordamerika goldene Zeiten angebrochen: Der Zweite Weltkrieg ist vorbei, die Wirtschaft brummt und alles ist in Butter. Scheinbar. Denn die Verheißungen des amerikanischen Traums gelten nicht für alle. Schwarze Bürger werden weiterhin durch die herrschende und gesetzlich verankerte Rassentrennung unterdrückt. In diese Welt wird Angela Davis 1944 geboren, wächst in Birmingham, Alabama auf und lernt schon früh, mit den täglichen Schikanen zu leben. Zum Beispiel, ja schön mit gesenktem Kopf an Gesetzeshütern vorbeizuschleichen, um Aufmerksamkeit oder unangenehme Fragen zu vermeiden. »So ist das nun mal, gewöhn dich lieber daran«, wird sie von ihren Freundinnen auf dem Weg zur Schule instruiert. Aber Angela ist durchaus ein aufmüpfiges Kind oder besser: ein Kind, das Ungerechtigkeiten nicht klaglos hinnimmt. Diese nachvollziehbare Unfolgsamkeit hat aber beinahe fatale Folgen. Eines Tages stellt sie sich einer Truppe von Ku-Klux-Klan-Anhängern in den Weg, die mit einem Auto auf sie zurasen. Nur der beherzte Sprung der Mutter rettet ihr das Leben. Nein, Birmingham ist nicht für jeden ein schöner Ort. Ein Viertel wird sogar »Dynamite Hill« genannt, weil Rassisten Wohnhäuser Schwarzer Familien in die Luft sprengen.


Angela Davis ist bereits mit fünf Jahren mutig. Aber einfach nur Kind. Denn ein heranbrausender Wagen kann so nicht gestoppt werden. Egal, ob der Ku-Klux-Klan an Bord ist oder nicht.


Nicolas Pitz untermalt dies mit schönen realistischen Zeichnungen, gestaltet diese aber angenehm zurückhaltend, sodass Bild und Text niemals miteinander konkurrieren. Seine Kolorierung ist in angenehmen Brauntönen gehalten und es dauert eine Weile, bis es auffällt, dass diese herbstlichen Farben außerordentlich gut zu der immer bedrückender werdenden Geschichte passen. Fabien Grolleaus Geschichte liest sich zunächst wie ein beschwingtes Katz-und-Maus-Spiel zwischen Außenseitern und Sicherheitsorganen, bis einem – zum Glück – schnell in den Sinn kommt, dass alles auf Davis' Leben bis in die frühen 70er basiert. Grolleau beschwört aber nie eine Black-Power-Romantik, sondern schildert anhand dokumentierter bekannter und vielleicht weniger geläufiger Fakten dieses bewegte Leben.


Treffende, aber verstörende Illustration: Amerika steht in Flammen.


Das Amerika von damals stand in Flammen, zumindest aus der Sicht der Schwarzen Bevölkerung. Der Weiße Teil wollte das überwiegend so nicht sehen, manche bemerkten die Entwicklungen eventuell wirklich nicht, viele andere übten sich in selbstgefälliger Ignoranz und Verdrängung. Wie »lästig« das Thema damals war, zeigt Grolleau anhand von FBI-Chef J. Edgar Hoover, dem Davis zunächst relativ schnuppe ist, der dann aber, vorsichtig ausgedrückt, aufhorcht, weil sie Kommunistin ist. Die Reaktion kommt prompt: Er erklärt sie zum Staatsfeind. In den USA kann jeder alles Mögliche sein, ein »Roter« bestimmt nicht.


»Schlimm« genug, dass Angela Davis Schwarz ist, aber als J. Edgar Hoover hört, dass sie Kommunistin ist, hört bei ihm der Spaß so richtig auf.


Grolleau und Pitz machen Lust darauf, Angela Davis' Leben zu erkunden. Sie beschreiben eine Frau, die im Hier und Jetzt verankert ist und idealistischen Träumen eher nicht nachhängt. Bei den Black Panthers war sie nur für kurze Zeit, weil ihr diese zu chauvinistisch waren und sie keinen Bock darauf hatte, diese »aus dem Hintergrund« zu unterstützen. Das Heimchen am Herd, das ist nichts für sie. Ab 1969 war sie, wie in dieser Graphic Novel geschildert, Dozentin an der University of California in Los Angeles, bis ihr 1970 der Vertrag gekündigt wurde, weil sie Mitglied der Kommunistischen Partei der USA war. Doch damit war ihre akademische Karriere nicht zu Ende. Von 1975 bis 1977 lehrt sie African American Studies am Claremont College und ist heute emeritierte Professorin an der University of California in Santa Cruz.


Angela Davis ist geschockt. Sie erfährt, dass Martin Luther King bei einem Attentat ums Leben kam.


Am Schluss keimt die Erkenntnis, dass es gut ist, dass es Menschen wie Angela Davis gibt, die sich für die Rechte der Schwarzen Bevölkerung einsetzen, um die Welt, platt ausgedrückt, ein wenig besser zu machen. Außerdem rückt dieser Band in den Fokus, dass dieser Freiheitskampf nach so vielen Jahrhunderten immer noch anhält und ein positives Ende immer noch in Sicht ist. Tolles, nachdenklich stimmendes Album!

[Walter Truck]


Der »American Dream« ist, leider, nur ein »White Only Club«.

 

Abbildungen © 2021 Cross Cult / Fabien Grolleau, Nicolas Pitz


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Oder beim Verlag: Cross Cult

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Frisch Gelesen Folge 222: Year Zero 1

 

»Aber ich habe vielleicht das nächste Massensterben ausgelöst.«